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Francis

Wenn ich über diese Sachen, über meine Zukunft nachdenke, dann beginne ich zu weinen.

Francis aus Nigeria

„Also hier in Deutschland kann man leben, wie man möchte. Jeder ist frei, das zu leben, was er oder sie will. In Nigeria ist das nicht so. Wenn ein Mann homosexuell ist, kann er das nicht einfach sagen. Er wird versuchen, das zu vertuschen und eine Freundin erfinden. Ansonsten verliert er seine Ehre, wird bedroht oder sogar umgebracht.“

Francis wächst als einer von vier Geschwistern in Nigeria auf. Bereits im Alter von elf Jahren wird ihm seine Homosexualität bewusst. Im Alter von 18 Jahren hat er seine erste Beziehung mit einem Mann. Aus Angst, verstoßen zu werden, verheimlicht er seine Homosexualität vor der eigenen Familie und Freund*innen, lediglich seine Schwester weiß Bescheid. Um den Schein der Normalität zu wahren, geht Francis schließlich eine Beziehung mit einer Frau ein, die kurze Zeit später schwanger wird.

„Außer meiner Schwester, die mich unterstützt, durfte niemand aus meiner Familie von meiner Homosexualität wissen. Wenn man Homosexueller ist und die Familie es öffentlich bekannt macht, wird man sofort verstoßen.“

Bei einem Treffen mit einer Gruppe homosexueller Männer in einem Hotel wird Francis von der Polizei festgenommen, da Hotelmitarbeiter*innen sie angeschwärzt haben. Bestechungsversuche scheitern. Die Gruppe muss eine ärztliche Untersuchung über sich ergehen lassen, dessen Resultat schließlich lautet: „Ärztlich attestierte Homosexualität“. Das bedeutet für Francis Gefängnis, da gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Nigeria verboten sind. Wer als homosexuell gilt, dem drohen bis zu 14 Jahren Gefängnis. Während der folgenden monatelangen Haft mit furchtbaren hygienischen Bedingungen erkrankt Francis schwer.

Das ist direkt nackter Boden, auf dem man schläft. 30 bis 40 Leute schlafen auf dem Boden. Es ist so eng, dass man sich berührt, wenn man nebeneinander schläft. Man kann sich nicht bewegen. Und dann gibt es die Toilette. Man bekommt einen Eimer, mit dem man aus dem Ablaufkanal die Exkremente rausholen muss. Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können, wie das ist in einem Gefängnis mit 5000 Leuten. Alle gehen auf die Toilette, und nach drei Tagen müssen die ganzen Exkremente dann weggeräumt werden. Also, ich hatte abgenommen, sehr, sehr abgenommen, ich war krank. Ich war sehr, sehr mager. Ich ging irgendwann ständig auf die Toilette.“

Nach neun Monaten Gefängnis wird Francis schließlich in einer bizarr inszenierten Gerichtsverhandlung übelster psychischer und physischer Folter ausgesetzt.

„Die haben gesagt, ‚Sie bringen die Geschichten von Weißen in unser Land. Sie stören die Menschen hier.‘ Derjenige, der die Rolle des Richters spielte, hat zu dem anderen, der die Rolle des Staatsanwaltes spielte, gesagt: Herr Staatsanwalt, haben Sie irgendetwas in diesem Zusammenhang zu sagen? Und der, der die Rolle des Staatsanwalts spielte, hat gesagt, dass man das Gesetz in die Praxis umsetzen muss. Daraufhin hat mich der, der die Rolle des Richters gespielt hat, zum Tod verurteilt! Dann haben sie mir eröffnet, dass sie mich jetzt langsam umbringen werden und begonnen, mich zu treten und zu stoßen. Ich wurde festgebunden, und dann hat einer auf meinen rechten Fuß geschossen. Einer hat geschrien, ich soll ihn nicht mit meinem schwulen Blut beschmutzen.“

Francis schildert weitere schwere Misshandlungen, die wir nicht detailliert ausführen möchten. Er erduldet schwerste physische, psychische und sexualisierte Folter. An die genauen Umstände der Befreiung von seinen Peinigern kann Francis sich nicht erinnern, weil er zu dem Zeitpunkt kaum noch bei Bewusstsein war. Aufgrund seiner Verletzungen muss Francis mehrfach operiert werden.

„Ein alter Mann hat mich operiert, aber meine Wunden haben sich entzündet. Deshalb musste ich wieder operiert werden. Ich konnte zwei Tage lang nicht pinkeln, und meine Genitalien waren geschwollen. Aber man hat mir keine Medikamente verschrieben.“

Aus Angst vor weiteren Übergriffen entscheidet sich Francis, nach Deutschland zu fliehen, wo seine Schwester lebt. In Deutschland angekommen leidet Francis weiter unter seinen körperlichen und seelischen Wunden. Aufgrund einer chronischen Entzündung seiner Folterwunden ist er dauerhaft auf medizinische Hilfe angewiesen und kann ausschließlich sitzenden Tätigkeiten nachgehen. Mit psychotherapeutischer Unterstützung lernt er langsam, mit dem Erlebten umzugehen. Zudem sorgt er sich ständig um seine Tochter, die nach wie vor in Nigeria lebt.

„Ohne Hilfe von diesen Menschen hier im Zentrum hätte ich mich umgebracht. Diese Therapie hat mir sehr, sehr geholfen. Ich weiß, dass es noch viel zu tun gibt. Meine Beine bleiben chronisch entzündet. Das muss ich akzeptieren. Es wird nicht weggehen, und ich nehme täglich Medikamente. Ich bete ständig zu Gott, dass er mir hilft, dass er mir die Kraft gibt, weiterzuleben und dass er mir die Freude des Lebens zurückgibt. Und dass es meiner Tochter gut geht. Seit zwei Jahren habe ich sie nicht mehr gesehen.“

Aufgrund seiner Erlebnisse hat Francis Probleme, soziale Kontakte aufzubauen. Der Umgang mit Deutschen fällt ihm schwer, da er noch nicht ausreichend Deutsch spricht. Francis leidet unter seiner Isolation, mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten, Zukunftsängsten und Perspektivlosigkeit. Aber eine Rückkehr nach Nigeria steht für ihn außer Frage.

„Sogar wenn man mich dazu zwingen würde, in die Heimat zurückzukehren, würde ich mich lieber umbringen, statt wieder dorthin zurück zu müssen.“

Francis wartet aktuell auf eine Antwort auf seinen Asylantrag.

Foto von koon boh Goh auf Pixabay

Homosexualität und LSBTI*-Identität als Fluchtgrund

  • Im Iran, in Saudi-Arabien, in Jemen und im Sudan, zudem in bestimmten Regionen von Somalia und Nigeria sowie in einigen vom „Islamischen Staat“ besetzten Gebieten im Irak und Syrien wird die Todesstrafe für Homosexualität verhängt.
  • In fünf weiteren Staaten, Pakistan, Afghanistan, Vereinigte Arabische Emirate, Katar und Mauretanien, steht die Todesstrafe zumindest noch auf dem Papier.
  • Weitere 14 Staaten bestrafen homosexuelle Handlungen mit bis zu 14 Jahren Haft bzw. bis lebenslänglich. In über 75 Prozent aller Staaten gibt es weiterhin keine rechtliche Anerkennung für homosexuelle Paare oder keinen Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.

Die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) erstellt zur politischen Lage regelmäßig eine Weltkarte, die der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) aktuell ins Deutsche übersetzt hat und hier zum Download bereitstellt.

Die Psychosozialen Zentren sind häufig die einzigen Anlaufstellen, die Menschen wie Francis auffangen können. Mit einer Spende hilfst du mit, diese Unterstützung auch zukünftig anbieten zu können!

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