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Hussein

„Wir lebten so, als wären wir ihre Gefangenen oder ihre Sklaven. Wo sollen wir hingehen, wenn wir keine Rechte haben, nicht leben können und verfolgt werden, entrechtet sind, was sollen wir denn machen?“

Hussein aus Syrien

Hussein ist als Angehöriger der religiösen Minderheit der Jesiden in Syrien aufgewachsen und wurde aufgrund dessen schon seit seiner Kindheit diskriminiert.

„Wir führten ein relativ schlechtes Leben. Wir haben viel Schlechtes, Unterdrückung und Ungerechtigkeit erlebt. Ich lebte mit meiner Mutter und meinen fünf Geschwistern, aber ohne einen Vater. Mein Zwillingsbruder schrieb damals Gedichte über die Ungerechtigkeit und die Misshandlung des Menschen. Davon haben die syrischen Behörden natürlich Kenntnis erlangt und haben dann meinen Bruder beschuldigt, für die Kurden politisch tätig zu sein. Damals habe ich auch begonnen, Fragen zu stellen. Was ist mit meinem Vater passiert? Die Regierung hat behauptet, er habe mit den Kurden Geschäfte gemacht. Dann war er plötzlich verschwunden.“

Durch Nachforschungen zum Tod von Husseins Vater geraten auch Hussein sowie dessen Bruder schließlich in den Fokus der Behörden. Ihnen werden politische Aktivitäten unterstellt, woraufhin sie sofort verhaftet werden. Die folgenden sechs Monate Gefängnis werden grausam.

„Ja, eines Tages kam ein ganz normaler Mann und sagte, kommt mal mit. Ich habe nicht geahnt, was mich erwartet. Wir wurden an Händen und Füßen gefesselt und dann in einen dunklen Keller gebracht. Da wurden wir dann regelmäßig gefoltert. Wir wurden beschimpft und misshandelt. Da gibt es diese Folter, die man „Dulab“ nennt: Man nimmt einen Autoreifen, und du legst dich hin und musst deine Füße durchstecken, und dich dann so vorbeugen, dass sie deinen Kopf durchdrücken können. Da kann man sich nicht mehr bewegen, und dann peitschen sie dich mit Elektrokabeln und Stöcken und übergießen dich mit kaltem Wasser. Danach forderten sie uns auf, ein Geständnis abzulegen. Aber wir hatten ja nichts gemacht…“

Foto von Manfred Antranias Zimmer auf Pixabay 

Nach sechs Monaten werden die Brüder schließlich entlassen, jedoch ohne Ausweis, was laut Hussein einem Verlust der Bürgerrechte gleichkommt. Hussein und sein Zwillingsbruder können sich ohne Papiere im Land nicht mehr bewegen und stehen unter ständiger Beobachtung. Zwei Jahre später verschwindet sein Bruder. Einige Tage später finden Hussein und seine Mutter den Leichnam des Bruders:

„Als wir ihn fanden, war er an Händen und Füßen gefesselt. Sein Körper war übersät mit Wunden, und in seinem Kopf war ein Einschussloch. Ab da fühlte ich mich wie in einer anderen Welt und dachte, vielleicht ist es besser, mein Leben zu beenden, als es weiterführen zu müssen. Ich war ja irgendwie schon wie ein Toter.“

Geplagt von permanenter Angst und Schuldgefühlen entscheidet sich Hussein schließlich zur Flucht und erreicht Deutschland ohne jegliche Ausweispapiere. Er kommt bei einem Verwandten unter und muss nicht ins Heim. Die psychischen Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung quälen ihn ständig und werden zunächst nicht besser.

„Ja, ich bin krank, ich kann nachts nicht schlafen, ich habe schlechte Träume. Da werde ich oft getötet, oft erschossen, ertränkt und ähnliches. Dann wach ich auf, schlage gegen die Tür, bis mich jemand beruhigt. Ich fühle mich wie ein kleines schwaches Kind. Ich bin verwirrt und benötige auch auf der Straße Hilfe, sonst renne ich aus Versehen auf die Straße. Ich fühle mich sehr allein. Ich habe meinen Bruder verloren, der der wichtigste Mensch überhaupt in meinem Leben war. Und jetzt habe ich meine restliche Familie verloren. Meine Geschwister und meine Mutter.“

Hussein berichtet von einer ambivalenten Gefühlslage zwischen tiefer Trauer und Wut. Dennoch gibt er sich aufkommenden Rachegedanken nicht hin, denn die Würde des Menschen ist und bleibt für Hussein unantastbar – selbst die der Mörder seines Zwillingsbruders.

„Ich weiß noch nicht, wie es mit mir weitergeht. Ich habe darüber nachgedacht, an denen, die meinen Bruder und mich gequält haben, Rache zu üben. Aber das ist ja auch nicht das Richtige, was der Menschenwürde entspricht. Ich weiß nicht mehr, was richtig ist. Aber ich kann jetzt zu einem Psychologen. Vielleicht bin ich dann nicht mehr so traurig.“


Zur psychischen Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WidO) hat im Sommer 2018 eine repräsentative Erhebung zur Gesundheit von Geflüchteten durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie zeigen:

  • Rund drei Viertel der Schutzsuchenden (74,7%) unterschiedliche Formen von Gewalt erfahren haben.
  • Bei jeder dritten Person sind Angehörige verschleppt worden oder verschwunden.
  • Bei mehr als 40% aller Befragten dieser Studie zeigten sich Anzeichen einer depressiven Erkrankung: Mutlosigkeit, Trauer und Bedrückung (42,7%) sowie Nervosität und Unruhe (42,9%).
  • Danach folgten körperliche Beschwerden wie Rückenschmerzen (36,6%) oder Kopfschmerzen (36,4&) wie auch Müdigkeit und Erschöpfung (31,0%) sowie Schlafstörungen (29,4%).
  • Das höchste PTBS-Risiko wiesen Geflüchtete aus Afghanistan auf (59%), gefolgt von Menschen aus Syrien (31% für Männer, 44% für Frauen) und dem Irak (32% für Männer, 37% für Frauen).

Die Psychosozialen Zentren sind häufig die einzigen Anlaufstellen, die Menschen wie Hussein auffangen können. Die meisten Klientinnen in den PSZ kommen aus Afghanistan, Syrien und der Russischen Föderation, gefolgt von Klientinnen aus dem Irak, Iran und Guinea. Mit einer Spende hilfst du mit, diese Unterstützung auch zukünftig anbieten zu können!

 

 

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